Weißabgleich bei Digitalkameras
Inhaltsverzeichnis
Der Weißabgleich stellt ein nicht ganz einfaches Thema in der (Digital)Fotografie dar, denn hier treffen zwei unterschiedliche Aspekte aufeinander: Objektive Farbe gegenüber der subjektiven Wahrnehmung derselben.
Einleitung: Probleme mit dem Weißabgleich
Der eine oder andere wird sich bei der Lektüre des Kapitels “Automatik” und des Tutorials zum Negativscannen gefragt haben, ob denn “der ganzen Einstellerei” mit der Benutzung einer Digitalkamera nicht elegant aus dem Weg gegangen werden könnte. Daß dem nicht so ist, soll mit den nächsten beiden Beispielaufnahmen gezeigt werden:
Zur Situation:
es handelt sich um eine Szenerie, die bei Sonnenstand knapp über dem Horizont in der Camargue/Frankreich aufgenommen wurde.
- Um den orangefarbenen “Farbstich”, hervorgerufen durch das Sonnenlicht, auszugleichen, wurde ein manueller Weißabgleich auf eine Referenzkarte durchgeführt, die direkt von der Sonne beschienen wurde. Das Ergebnis weist einen unübersehbaren Blaustich auf.
- Weißabgleich: Sonnenbestrahlte Referenzkarte
- Weißabgleich: Referenzkarte im Schatten
Das natürlichste Ergebnis liefert ein Weißabgleich nach Punkt 2 mit zusätzlichem Objektiv-Filter 82C (evtl. auch 82B) - und so hätte man die Aufnahme analog auch gemacht…
- Weißabgleich: Referenzkarte im Schatten, Filter 82C
Das Beispiel zeigt, daß farbtreue Wiedergabe auch mit einer Digitalkamera nicht “von selbst” zustande kommt und etliches an Aufwand bei der Aufnahme - und auch an Erfahrung - erfordert.
Grundlagen zum Weißabgleich
Man stelle sich eine komplett schwarze Kugel vor, die langsam erhitzt wird. Irgendwann beginnt sie zu glühen, mit steigender Temperatur zunächst rot, dann über gelb/grün nach bläulich. Daraus ist der Begriff “Farbtemperatur” entstanden: Jede Lichtfarbe entspricht einer bestimmten “Glühtemperatur” dieses schwarzen Körpers, gemessen in der Einheit Grad K. Nimmt man nun ein weißes Blatt Papier und hält es in dieses abgestrahlte Licht, dann erscheint das Papier in der Farbe des Lichtes, das die Kugel abstrahlt - logischerweise.
Entscheidungsfrage
Und jetzt kommt der Fotograf in’s Spiel: ER muß entscheiden:
- will ich das Papier in seiner echten Farbe darstellen (also weiß)?
oder
- will ich die Situation abbilden (also zeigen, daß das Papier “farbig beleuchtet wurde”)?
Im ersten Fall muß er der Kamera die Lichtfarbe mitteilen, in der die Szenerie beleuchtet wird, dann wird das Blatt “weiß” abgebildet.
Im zweiten Fall sagt er der Kamera, es herrsche “Tageslicht” und das fotografierte Blatt nimmt dann die Farbe an, in der es beleuchtet wurde.
Weißabgleich - die Kameraeinstellungen
Wie sieht jetzt der Zusammenhang des bisher Beschriebenen mit den Kameraeinstellungen aus?
- “Sonne” teilt der Kamera mit: die Szenerie/das Motiv wird mit Sonnenlicht um die Mittagszeit (“Tageslicht”, entspr. um die 6000K) beleuchtet. Das menschliche Auge ist darauf “geeicht”, dieses Licht als “weiß” zu empfinden.
- “Wolke” teilt der Kamera mit: Sonne ist durch Wolken verdeckt. Das hat zur Folge, daß die roten Lichtanteile stärker gefiltert werden als die blauen, das Licht wird also “blaustichiger”, die Kamera korrigiert “in Richtung Rot”.
Würde ich jetzt bei Sonnenlicht mit dieser Einstellung fotografieren, dann würde das Bild deutlich “zu warm”, würde schon allmählich den Eindruck einer abendlichen Aufnahme annehmen. - Noch eine Stufe extremer wird das bei “Schatten”: dort wird sonniger Tag (also wolkenlos) vorausgesetzt, aber die fotografierte Szenerie wird nicht direkt von der Sonne beschienen. Also überwiegt das sehr blaue Licht, das vom Himmel reflektiert wird und die Kamera korrigiert noch stärker “in Richtung rot” als bei der Einstellung “Wolke”.
- Anders herum bei der Einstellung “Glühlampe”: Das erwartete Licht ist sehr rötlich, die Kamera korrigiert in Richtung “blau”. Bei Tageslicht angewandt wird die Aufnahme “eiskalt” …
Und dann gibt es da noch die Stellung “Automatik”: die mag ich persönlich gar nicht:
Im Kern ist es nach dem oben geschriebenen ja so, daß es auf das Licht (genauer: dessen Farbe) ankommt, wie die Kamera eingestellt werden muß.
Die Kamera sieht aber das Motiv. Ein automatischer Weißabgleich ist also das Ergebnis des Rätselratens der Kamera, was das für ein Motiv sein könnte und wie das wohl richtig aussehen sollte. Das funktioniert bei Standardmotiven i. d. R. ganz gut, aber z. B. bei Motiven in Las Medulas wie dem Stolleneingang auf der Seite zum Negativscannen kann das arg daneben gehen.
Der Weißabgleich in der Praxis
Wie wirkt sich das oben Beschriebene in der Praxis aus?
Das zeigt die Gegenüberstellung der beiden folgenden Aufnahmen:
- Weißabgleichseinstellung "Sonne", direkt aus der Kamera
- Weißabgleich manuell korrigiert auf neutrale Farbe des Hundes und Granitgesteins, 4500K
Auf die Frage, welches Bild zu bevorzugen wäre, bekam ich folgende Antwort:
“das kann man so nicht sagen, aber: Da das Aufnahmedatum Mitte Juni um 20:25 war, stand die Sonne wohl sehr tief und die linke Variante (warmton, etwas rötlich) entspricht wohl den Gegebenheiten bei tiefstehender Sonne recht gut. Der würde ich den Vorzug geben.
Wenn ich aber ein neutrales Bild möchte, dann ist die rechte Variante richtig. Das suggeriert eine Aufnahme am hellen Tage, aber der (sehr aufmerksame) Betrachter würde über den langen Schatten des Hundes stutzen.”
Und an der Stelle kommt jetzt “RAW” ins Spiel: Die Kamera speichert die Rohdaten, aber auch die Kameraeinstellungen dazu.
Lädt man jetzt die Datei in der entsprechenden Software (wird vom Hersteller meist mitgeliefert), dann liest diese genau diese Einstellungen aus und man erhält mit einem Klick “Konvertieren” das Bild als jpg, das die Kamera auch erzeugt hätte.
ABER: Der Fotograf kann davon unabhängig auch jede der Kameraeinstellungen überschreiben, wenn er am Bildschirm (der idealerweise kalibriert sein sollte) der Meinung ist, er hätte es vielleicht doch lieber anders.
Mit dem Regler “Farbtemperatur” im Konvertierungsprogramm läßt sich in der hier gezeigten Situation auch jede Zwischeneinstellung wählen und damit die Bildwirkung auf den “persönlichen Geschmack des Betrachters” abstimmen.
Nachsatz
Immer wieder hört man Aussagen wie:
Auch bei den “analogen” Filmen gab es herstellerbedingte Unterschiede zwischen Fuji und Kodak hinsichtlich der Farbwiedergabe.
Hier gilt:
Vorsicht - nix durcheinanderbringen!
Die herstellerbedingten Unterschiede, die hier angesprochen werden, gibt es heute immer noch, nur eben nicht zwischen Fuji und Kodak, sondern eben zwischen Canon und Nikon und Samsung und … - das hängt
- vom verwendeten Sensor ab und
- der Definition des Herstellers, was denn nun “ein sonniger Tag” ist und
- der Erwartung des Marketing, was die Kunden “anspricht” etc.
Deswegen haben die APS-Spiegelreflexen und die neuen “Spiegellosen” auch überwiegend Dutzende Motivprogramme, derweil die Vollformat-Profi-Kameras sich mit “Blendenautomatik, Zeitautomatik, Programmautomatik und Manuell” zufrieden geben, Profis wollen nicht “schöne”, sondern reproduzierbare Ergebnisse.
Das zeigt schon: Weißabgleich ist der kleinste “Brocken” bei den herstellerbedingten Unterschieden, der größere ist softwarebedingt - die Interpretation der Sensordaten also, um den “Kundengeschmack” zu treffen.
Auch hier wieder meine Meinung von oben: RAW fotografieren, wenn ich mit der Softwaremeinung übereinstimme, habe ich einen zusätzlichen Klick zu tun, um das jpg zu erhalten, wenn nicht, dann habe ich “alle Freiheit der Welt”, meinen persönlichen Geschmack in das Bild zu interpretieren.
A propos Kundengeschmack bei Filmen: Legendär war der Fuji Velvia, aber nicht wegen des Weißabgleichs, sondern wegen der Farbsättigung.
Weißabgleich bei Filmen bildete sich dadurch ab, daß es - von jedem Hersteller - (mindestens) zwei Gruppen Filme gab:
“Tageslicht-Film” und “Kunstlicht-Film”. Für Spezialanwendungen gab es weitere Varianten.
Deshalb schrieb ich oben: nix durcheinanderbringen!
zuletzt geändert am: 23.12.2017 - 1162 Worte - Lesezeit: 6 Minute(n)