RAW oder JPEG?
veröffentlicht am 06.06.2021 in * ALLGEMEINES * BILDBEARBEITUNG * FOTOTECHNIK *
Inhaltsverzeichnis
Ich will hier nicht so kurz angebunden auf die Frage eingehen wie Thom Hogan, aber auch nicht eine großangelegte Abhandlung schreiben, wie er es an anderer Stelle getan hat - solche Darstellungen gibt es ausreichend im Netz.
Vielmehr geht es mir hier darum, anhand meiner persönlichen Rahmenbedingungen darzustellen, warum ich in dieser Konstellation in RAW fotografiere, dazu zeige ich auch einige Beispiele aus der Praxis.
Rahmenbedingungen
Vorschau, Histogramm, Überbelichtungs-Warnung
In meinem Beitrag zu den Belichtungs-Einstellungen meiner Kameras hatte ich bereits geschrieben:
die Kamera bettet in die RAW-Datei auch eine
JPEG
-Datei ein, und diese wird herangezogen, um
- Vorschau-Bild
- Histogramm
- Überbelichtungs-Warnung
etc. zu generieren, wie Michael J. Hußmann im Blog der Zeitschrift DOCMA. erläutert. Damit haben diese Anzeigen nur noch bedingte Aussagekraft, wenn es um die Beurteilung der
RAW
-Daten geht.Doch anhand der Voreinstellungen können diese
JPEG
-Dateien möglichst unbehandelt - also eben roh - erzeugt werden, das Ziel ist also ein flaues Bild, das zwar auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv wirkt, aber eine gute Beurteilung der Tonwerte erlauben sollte.
Wie die Kamera - dieser Logik folgend - also eingestellt werden sollte, hab ich dort ebenfalls dargestellt.
Die Praxisbeispiele
Ich will mit meiner “Bearbeitung” nicht künstlich aussehende Bilder mit “WOW-Effekt” erzeugen. Aber ich möchte schon meinen subjektiven Eindruck von einer Szene rüberbringen.
Und ich bevorzuge es, wenn ich nicht irgendeine Voreinstellung unkorrigierbar auf ein Bild “loslassen” muß, wie das mit den kameraseitig eingebauten Optionen so ist, wenn sie in das JPEG quasi “eingebrannt” werden.
Stattdessen dosiere ich lieber von Hand, welchen Effekt ich in welcher Stärke gerne anwenden möchte.
Gesamtansicht
Ein Rotschwanz ist ein Rotschwanz und kein ‘Bleichschwanz’ …
Wie oben bereits beschrieben, hab ich die JPEG-Verarbeitung meiner Kamera auf ein möglichst flaches Profil eingestellt, um erkennen zu können, ab wann tatsächlich Gefahr im Verzug ist - teile des Bildes also z. B. geclippt werden
Flaches Profil bedeutet aber oftmals: kontrastarme und entsättigte Wiedergabe .
- jpg-Bild aus der Kamera
Im Beispielbild genügte es, den Kontrast so zu erhöhen, daß das Histogramm voll ausgeschrieben wird und dabei die Sättigung in den Mitten etwas zu erhöhen (Filmic RGB-Modul in darktable). Und schon sieht das Bild deutlich besser aus:
- RAW in darktable entwickelt
Insbesondere im Gefieder des Vogels deutet sich aber auch schon eine weitere Verbesserung an, die in einem Ausschnitt in 100%-Darstellung deutlich besser zu sehen ist:
Ausschnitt
Zunächst wieder die JPEG-Aufnahme aus der Kamera: Obwohl es der Aufnahme sichtbar an “knackiger Schärfe” fehlt, kann man über dem Kopf im Hintergrund ganz schwache “Würmchen” wahrnehmen. Ob die von der Rauschbehandlung oder der JPG-Kompression herrühren, kann ich nicht sicher sagen (die Kamera stand nicht auf JPEG Fine
). Darauf kommt’s mir auch nicht so sehr an.
- jpg-Bild aus der Kamera
100%-Ausschnitt
Viel wichtiger ist mir in diesem Fall, daß bei so feinen Strukturen wie den hier dargestellten (es handelt sich um eine starke Vergrößerung eines kleinen Bildausschnitts) ein sehr genaues Fine-Tuning des Entrauschens und des Nachschärfens nötig ist, um keine unschönen Effekte zu erhalten wie das bekannte “Überschärfen”, was ein Bild komplett ruinieren kann.
Eindeutig besser sieht daher die RAW-Aufnahme nach der Bearbeitung in darktable aus:
- RAW in darktable entwickelt
100%-Ausschnitt
Keinerlei Artefakte, kein Rauschen, Schärfe, ohne ‘überschärft’ zu wirken, auch ohne Halos … Bearbeitung nach Maß. Das geht aber nur, wenn man nicht stumpf einen “Preset” draufbügelt wie eine Kamera-JPEG-Engine, sondern man genau betrachtet, was welcher Regler tut (und rechtzeitig aufhört).
Belichtungskorrektur
Das obige Beispielbild ist nicht sehr anspruchsvoll, was den Helligkeitsumfang angeht.
Im bereits erwähnten Artikel über die Belichtungseinstellungen hatte ich beschrieben, daß auch bei heutigen aufwendigen Meßverfahren des Belichtungsmessers kleine helle Bereiche im Motiv immer noch problematisch sein können. In solchen Fällen greife ich zur manuellen Belichtungskorrektur, wie in diesem Beispiel:
- Kamera-jpg-Bild, Belichtungskorrektur -1EV, Matrixmessung
Das Ziel ist es grundsätzlich, in den Lichtern ausgefressene Bereiche zu vermeiden (hier am Kopf der Blaumeise). Trotz der Belichtungskorrektur von -1EV ist das nur knapp gelungen, wie das Histogramm zeigt:
Trotzdem ist durch die Belichtungskorrektur das Bild sehr dunkel geworden, entspricht keineswegs der Erwartung des Betrachters.
Demgegenüber sieht das Histogramm der Rohdaten so aus:
In den Roh-Daten derselben Aufnahme ist im Histogramm am hellen Ende also immer noch “Platz nach oben” (obwohl das JPEG-Profil schon möglichst flach eingestellt ist, um dem RAW nahezukommen).
Das Bild konnte so sichtbar aufgehellt werden, ohne in den kleinen weißen Bereichen Details zu verlieren:
- RAW in darktable entwickelt
Daher präsentiert sich das Bild aus dem RAW entwickelt deutlich anders … heller, farbiger - einfach schöner anzusehen.
… und die Spiegellosen?
Es wird immer behauptet: der elektronische Sucher ist super, weil
WYSIWYG - What you see is what you get
übersetzt: Du bekommst, was Du siehst.
Aber was siehst Du? Eben, das JPEG nach den kamerainternen Algorithmen. Der einzige Unterschied ist: bei der Spiegellosen vor der Aufnahme, bei der Spiegelreflex eben danach.
Aber weder bei dem einen noch dem anderen Kameratyp kann ich sicher sagen, ob auf dem Sensor Teile des Bildes überbelichtet sind, die Blinkies beziehen sich auf das Ergebnis der JPG-Verarbeitung.
Und auch die Spiegellosen befreien mich nicht von der Einschätzung, ob ich für das gegebene Motiv unter den gegebenen Lichtbedingungen die Menüeinstellungen für
- Anpassung des Dynamikbereichs (bei Nikon z. B. “active D-Lighting”)
- Rauschbehandlung
- Schärfen
- etc.
verändern muß, wenn ich ein optimales JPG-Ergebnis erhalten möchte - was dann wieder Zeit benötigt vor der Aufnahme (die ich ggf. nicht habe (Sport, Wildlife, …)).
Denn: ohne das alles wäre auch bei einer Spiegellosen die Meise oben zu dunkel geworden (oder die weißen Bereiche ausgefressen)
Fazit: was ist nun das Mittel der Wahl? RAW oder doch JPEG?
Man könnte aus dem bisher Gesagten schließen: eindeutig RAW …
Aber so pauschal möchte ich das nicht behaupten - auch wenn das Ergebnis für mich genau so lautet.
Ich bin nun auch schon etwas älter und möchte hier auf einen Vergleich aus der Analog-Fotografie zurückgreifen:
- JPEG ist das digitale Dia
- RAW ist das digitale Negativ
Warum das?
zu 1: JPEG
Schon zu analogen Zeiten sagte ein Kollege immer:
Es ist, wie es ist
und meinte damit das belichtete Dia.
Ungenauigkeiten bei der Aufnahme (insbesondere der Belichtung) waren unveränderlich festgehalten.
Das JPEG-Format sollte ebenso wie das Dia als “End-Format” angesehen werden aufgrund seiner Begrenzungen:
- Farbtiefe 8bit/Kanal
- verlustbehaftete Kompression
Wer also
- genügend Zeit hat, vor der Aufnahme in den Menüs der Kamera die nötigen Einstellungen zur Bildbearbeitung zu tätigen
- und über die Jahre durch endlos viele Fotos und die daraus gewonnene Erfahrung vor der Aufnahme auch genau weiß, für welche Einstellung welcher der möglichen Parameter der richtige ist
für den mag das JPEG-Format das richtige Aufnahmeformat sein. Er - der Fotograf - investiert seinen Aufwand eben in das Training über die Jahre und die jeweiligen Feineinstellungen am Aufnahmeort, also vor der Aufnahme.
zu 2: RAW
Schon zu analogen Zeiten mußten Negative in der Dunkelkammer einem zweiten Arbeitsschritt - der Belichtung auf Papier - unterzogen werden. Dabei konnte durch verschiedene Eingriffe (Konzentration der Chemie, Temperatur der Bäder etc.) Einfluß auf das Endergebnis genommen werden.
Genau wie zu analogen Zeiten bietet das RAW-Format heute genau diese Möglichkeiten, auch nach der Aufnahme noch Einfluss auf das Ergebnis nehmen zu können. Ich nutze das - wie oben beschrieben - dazu, an der einen oder anderen Stelle bei der Aufnahme etwas “Reserve” einzubauen, weil ich - insbesondere bei der Tierfotografie - eben nicht die Zeit (vor/während der Aufnahme) und/oder das absolute Wissen (Erfahrung aus Jahren/zehntausenden Bildern) habe, in jeder Situation für jede Einstellung den exakt richtigen Wert vor der Aufnahme sicher festzulegen.
Und selbst wenn ich relativ nahe am Ziel liege (was im Laufe der Zeit immer häufiger der Fall war, ist und in Zukunft hoffentlich sein wird), kann ich immer noch mich etwas näher ans Ideal rantasten, ohne mir Sorgen machen zu müssen wegen evtl. Bänder oder Artefakte durch mehrmalige Kompression.
Folgerungen
Für mich ist RAW das Mittel der Wahl, ich hoffe aber, es ist deutlich geworden, daß das keine Glaubensfrage ist. Beide Arbeitsweisen haben ihre Berechtigung, wenn die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind - und diese habe ich versucht, etwas herauszuarbeiten.
1343 Worte - Lesezeit: 7 Minute(n)
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