Die 'DSLR ist tot'-Propheten und der Tier-Augenautofokus
veröffentlicht am 05.05.2021 in * ALLGEMEINES * FOTOGRAFIEREN * FOTOTECHNIK *
Inhaltsverzeichnis
Sie rufen ganz laut:
Die DSLR ist tot
und veröffentlichen Nachrufe, wie z. B. hier und hier.
Und dabei wird auch auf Disziplinen abgehoben, die bisher noch als DSLR-Nischen beschrieben wurden, wie z. B. die Wildlife-Fotografie. Ein Treiber scheint das Erscheinen der Canon R5 zu sein.
Das Killer-Argument: Tier-Augenfokus
Derzeit wird der Tier-Augenfokus ‘gehypt’. Und es gibt Fotografen, für die spielt Geld keine Rolle. Es sei ihnen der Spaß gegönnt.
Wer sich jedoch mit seinem Budget auseinander setzen muß, der kommt schon ins Grübeln. Hier ein paar Gedanken dazu.
Notwendigkeit des Tier-Augen-AF
Schauen wir uns den Alltag eines Natur-/Tierfotografen in Mitteleuropa an. Einig dürften wir uns sein, daß eine derartige Situation absolut beherrschbar ist mit den bisher vorhandenen Mitteln:
- Stillstehen zum Porträt
Einzelpunkt-Autofokus, Belegung AF-on wie hier beschrieben
Steigern wir den Schwierigkeitsgrad: Fliegende Vögel, die berühmten BIF (birds-in-flight - Fotos). Quer zur Sichtlinie sind auch diese Situationen offensichtlich kein Problem. Große Tele-Linsen stehen ohnehin auf einem Stativ - sauber nachführen - fertig.
- Weißstorch im Vorbeiflug
Noch ‘ne Nummer schwieriger: Flug in Sichtlinie, also direkt auf den Fotografen zu. Je nachdem, ob Kamera/Objektiv auf dem Stativ stehen oder (im Falle eines handlichen 500/5.6 “Taschentele” gut möglich) freihand gehalten werden: Es stehen verschiedene AF-Optionen zur Verfügung: Einzelfeld oder Gruppe bieten sich hier an:
Gruppen-AF, Belegung AF-on wie hier beschrieben
Zum Gruppen-AF aus der Beschreibung von Nikon:
Messfeldgruppensteuerung: Die Kamera benutzt für die Scharfeinstellung eine vom Benutzer gewählte Gruppe von Fokusmessfeldern, wodurch das Risiko abnimmt, dass die Kamera auf den Hintergrund anstatt auf das Hauptobjekt fokussiert. Diese Funktion eignet sich für Objekte, die sich nur schwer mit einem Fokusmessfeld fotografieren lassen.
Möglichkeiten des Tier-Augen-AF
Wirklich interessant ist ein Hilfmittel dann, wenn es den Fotografen in Situationen unterstützt, die er ohne dieses Hilfsmittel überhaupt nicht bewältigen könnte. Und da kommt mir die Beschäftigung der letzten Tage in den Sinn: ein Starenpaar bei der Aufzucht der Jungen.
Hier gibt es mehrere Schwierigkeitsgrade:
- die Tiere sind pfeilschnell
- es sind extrem kurze Belichtungszeiten und damit hohe ISO-Werte erforderlich
- dies begrenzt die Möglichkeit, durch kleinere Blendenöffnungen den Schärfebereich auszudehnen
- die Tiere fliegen nicht auf sauber gleichen Bahnen
- Food in ...
Scharfstellen, während ein Vogel im Sucherbild sichtbar ist - völlig ausgeschlossen. Einziger Weg: vorfokussieren.
- ... Shit out!
Gute (also knackig scharfe) Bilder sind eher ein Glückspiel.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Szenerie durch den Sucher im tatsächlichen Bildfeld aussieht, zeige ich hier eine kleine Sequenz als Video:
Und ich möchte den Tier-Augenfokus sehen, der hier tatsächlich eine nennenswerte Trefferquote liefert. Sollte das tatsächlich irgendwann der Fall sein … ok, dann hat die ‘neue Technik’ ihre Berechtigung.
Klarstellung: auch der Autofokus einer DSLR erfaßt einen derart schnell durchs Bildfeld fliegenden Vogel nicht. Aber wie ich oben schon schrieb:
den Fotografen in Situationen unterstützt, die er ohne dieses Hilfsmittel überhaupt nicht bewältigen könnte
halte ich einen Wechsel nur dann für angezeigt, wenn ein echter Mehrwert dabei rumkommt. Und den sehe ich hier nicht. Die Spiegellose ist nicht besser als die DSLR.
Wechseln - oder was?
Preisentwicklung
Tele-Objektive sind teuer. Spiegellos-Objektive sind noch teurer. Hier eine kleine Gegenüberstellung:
Brennweite | Typ | Bezeichnung | Preis |
---|---|---|---|
70-200mm/2.8 | DSLR | AF-S NIKKOR 70-200 mm 1:2,8E FL ED VR | 2.599,00 |
DSLM | NIKKOR Z 70–200 mm 1:2,8 VR S | 2.799,00 | |
24-70/2.8 | DSLR | AF-S NIKKOR 24-70 mm 1:2,8E ED VR | 2.199,00 |
DSLM | NIKKOR Z 24–70 mm 1:2,8 S | 2.499,00 | |
TC 1,4x | DSLR | AF-S Telekonverter TC-14E III | 579,00 |
DSLM | Z-TELEKONVERTER TC-1,4x | 629,00 | |
50mm/1.8 | DSLR | AF-S NIKKOR 50 mm 1:1,8G | 249,00 |
DSLM | NIKKOR Z 50mm 1:1,8 S | 679,00 |
Ich kann hier leider keine “richtig langen” Tele-Brennweiten auflisten, diese gibt es noch nicht von Nikon. Aber tendenziell entspricht das den Erkenntnissen aus dieser Statistik.
Adapter, Rückwärtskompatibilität
Aber da wird dann ja immer der FTZ-Adapter angeführt, der die alten Objektive “kompatibel” machen soll. Wie es damit aussieht, hat Steve Perry untersucht.
Zunächst hat er sich verschiedene Teleobjektive an einer DSLR angeschaut und die Geschwindigkeit gemessen, in der das Objektiv über einen bestimmten Entfernungsbereich fokussiert (englisch):
Video hierzu: Start bei 19:57 min
Denselben Test hat er kurz auch in der Untersuchung der Nikon Z6/Z7 der zweiten Serie durchgeführt:
Video hierzu: Start bei 8:42 min).
Erkenntnis: Ein schnelles Objektiv an einer D wird zum langsamen Objektiv an einer Z …
Objektiv | D850 | Z6 II mit FTZ | Bemerkung |
---|---|---|---|
AF-S NIKKOR 600 mm 1:4E FL ED VR | 0,5 sec | 1,5 sec | |
AF-S NIKKOR 200-500 mm 1:5,6E ED VR | 0,8 sec | 0,9 sec | auf 500mm eingestellt |
AF-S NIKKOR 500 mm 1:5,6E PF ED VR | 0,4 sec | 0,7 sec |
Fazit
Gegenwärtig gibt es für mich keinen Grund, über einen “Umstieg” nachzudenken. Die vorgeblichen Vorteile bringen mich mit meiner Fotografie nicht wirklich nennenswert weiter, auf der anderen Seite müßte ich mich mit Nachteilen rumschlagen. Bestenfalls wäre eine Spiegellos-Kamera eine Ergänzung für ein paar Sonderfälle von statischen Motiven, bei denen ich AF-Punkte außerhalb desjenigen Bereichs bräuchte, den eine DSLR zur Verfügung stellt … eilt aber nicht.
In Anbetracht der Tatsache, daß ein kompletter Systemwechsel anstehen würde, wollte man die maximale Performance aus seiner Ausrüstung holen - und in Anbetracht des damit verbundenen monetären Aufwandes …
… werde ich für einige Zeit noch munter mit meinen DSLRs weiterfotografieren
… völlig entspannt
… und mit Freude über die Ergebnisse.
Die “Tot”-Rufer kann ich dabei getrost ignorieren.
Hier beschleicht mich das dumpfe Gefühl, daß die entweder signalisieren wollen, daß “man eben Geld zu haben hat”, wenn man fotografieren will … oder sie bekommen welches dafür, daß sie so laut rufen.
Wie schreibt ein Kommentator bei Golem:
Der Autor ist auf DSLM gewechselt, also ist das jetzt auch das beste System. Auch die Akkulaufzeit ist neuerdings total fantastisch bei den spiegellosen. Jeder, der DSLR noch einsetzt ist halt total konservativ. Bitte nicht weiter hinterfragen. Ist halt jetzt so. Komm ja nicht auf die Idee beides je nach Einsatzzweck zu verwenden.
972 Worte - Lesezeit: 5 Minute(n)
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Disclaimer
Ich kaufe mein fotografisches Werkzeug beim Fotohändler meiner Wahl/meines Vertrauens als normaler Kunde. Wenn ich hier über das von mir eingesetzte Material schreibe, dann geht es dabei um die Erfahrungen, die ich in der praktischen Arbeit damit sammle.